Ausbildungskurs Bergwandern Alpin im Windachtal 19.08. – 23.08.23

Tourenbericht Windachtal (von Simon Exner)

Ausbildungskurs Alpinwandern. Hm. Was muss ich mir jetzt da drunter vorstellen? Schullandheim, Kaffeefahrt, Volkshochschulkurs, Gruppenreise… Ach, so eine kleine Hüttentour im Windachtal, das wird schon nicht so schlimm sein und ich komm ja sonst so selten in die Berge: einfach mal anmelden und überraschen lassen.

 

 

Ein paar Whatsapp-Nachrichten später sitzen am Samstagvormittag den 19.08.2023 fast alle in Fahrgemeinschaften Richtung Sölden im Ötztal. Den inoffiziellen Treffpunkt zum ersten kurzen Aufstieg um 14 Uhr am Parkplatz hält nur der kleinere Teil der Gruppe ein und so findet das offizielle erste Zusammenfinden erst gegen 16:30 Uhr auf der Fiegl‘s Hütte auf knapp 2000m statt. Wir werden dabei auch von einem jungen Bartgeier mit tief orangenen Augen im Nest gegenüber begrüßt. Noch vor dem Abendessen sind die ersten Verwundungen zu beklagen. Simon (2) kämpft mit seinen -bei der Abfahrt verwechselten- Schuhen und Barbara wird von der Dachrinne der Kapelle vor den Kopf gestoßen. Die erste Amtshandlung unserer Tourenleiter ist also, nach verbaler Demontage des Schuhwerks, gleich ein medizinischer Noteinsatz. Die physische Betreuung übernimmt Sven während Mario seelischen Beistand leistet: „Mensch Barbara, du siehst aber scheiße aus“.

Beim Abendessen (es gibts Schweinebraten und tolles Schokomousse als Dessert) und in der Vorstellungsrunde wird der einen Hälfte der Gruppe klar, dass sie die nächsten Tage mit Queeren, Lesben und Schwulen, verbringen wird und der anderen Hälfte, dass sie mit einem Haufen Sachsen unterwegs ist. Oh je, das kann ja heiter werden... Bei der Zimmeraufteilung wird natürlich streng auf Geschlechtertrennung geachtet. („Damit nix passiert“)

 

Nach dem Essen folgt noch die Tourenplanung für den nächsten Tag. Es geht zum knapp 700m höher gelegenen Wannenkarsee. Nachdem einige von uns ihren ersten Kampf mit einer Wanderkarte bestritten hatten, einigen wir uns auf eine sehr humane Abmarsch-Uhrzeit von 9 Uhr für die etwa fünfstündige Tagestour. Das Wetter verspricht mit 12 Stunden Sonne und 25°C unverschämt gut und zu werden.

Nach einer erstaunlich Schnarch-freien Nacht wird in Schichten gefrühstückt und sich dann gemütlich für den Abmarsch fertig gemacht. Dank Marios ausdrücklichen Worten am Vorabend stehen um Punkt 9 Uhr alle in ihren Schuhen abmarschbereit vor der Hütte. Die heutige Genusstour -mit leichten Rucksäcken- beginnt mit einer Lektion zur korrekten Einstellung dieser. Der gemächliche Aufstieg führt uns an der Südflanke des Windachtals entlang. Nach passieren der Baumgrenze wird es felsiger und wir gehen im Blockgestein-Gelände. Mario prägt den Begriff des „Stöhn-Yoga“ und gibt uns beim heutigen Aufstieg gleich mehrfach Lektionen darin. Einige Meter vor unserem Ziel erhalten wir noch eine Biologie-Lektion über die hier vorkommenden Pflanzen, insbesondere Gamsheide und Wollgras.

Dann sind wir am Ziel, dem Wannenkarsee. Man könnte sich auf den Kopf stellen und würde keinen Unterschied bemerken, so ein intensives himmelblau-türkises Wasser ist nicht in Worte zu fassen. Die Harten gehen oder vielmehr rutschen sich ins 7° kalte Nass. Anschließend führt Mario noch einen ausgiebigen, lautstarken Dialog mit Schafen am anderen Ufer. Vor dem Abmarsch folgen noch ein wenig Karten- und Kompasskunde. Der Abstieg beginnt -geführt von Torsten- weglos zum Abzweig auf das Brunnkogelhaus. Dort teilt sich die Gruppe. Der Großteil des jungen Gemüses macht sich mit Torsten noch auf den Weg zum gut 400m höher gelegenen Weg zum Brunnkogelhaus. Der Rest der Gruppe steigt jetzt schon zurück zu Fiegels ab und lernt auf dem Weg noch Grünerle und die Granitalpenrose kennen. Bis der Rest eintrudelt, finden die Dusche und Sonnenliegen auf der Terrasse (mit dem genussfähigen Teil der Gruppe) zufriedene Nutzer. Auch einer der älteren Bartgeier lässt sich noch blicken und nimmt im Nest ein ausgiebiges Nachmittagsmahl ein.

Als die Gruppe wieder vollständig ist, gibt es -einen Tag verspätet- den Willkommens-Trunk mit unserem Wirt (ebenfalls Mario). Nach der hohen Fleischlastigkeit des Abendessens am Vortag, entbrennt nun die Große Vegetarier Debatte. Nein, es geht nicht um die große Gesellschaftsdebatte, wie schlimm Fleischkonsum ist, sondern schlicht darum, wie viele Teilnehmer heute denn jeweils Knödel, Gröschtl oder Lammbraten möchten. Eine Einigung (jeweils mit sich selbst) scheint nach langem Hin und Her doch möglich und wir begeben uns bald zu Tisch. Eine Überaus üppige und sehr leckere Graukassuppe gibt es zur Vorspeise. Diese erschwert den anschließenden Kampf mit den Kaspressknödeln, Bratkartoffeln oder Lämmern. Wir sind alle gut gesättigt und belustigen uns noch an den Sprüchen auf den Schnappsglashaltern der Absacker. Die Tourenplanung für den nächsten Tag offenbart noch ein Grad und eine Sonnenstunde mehr. Die Etappe mit gut 1200 Höhenmetern scheint also „Die Qual“ zu werden, welche Mario schon öfter versprochen hatte.

Am nächsten Morgen verabschieden wir uns -besonders schmerzlich von der Dusche- und beginnen den Aufstieg zur Hochstubaihütte. Barabara erhält noch die Ferndiagnose „Wanderhämatom“ und bekommt ein Eispaket mit auf den Weg. Über uns dreht ein Versorgungshubschrauber seine Runden. Die erste große Pause legen wir am Seekarsee ein. Wir nehmen noch ein letztes Bad und füllen alle Wasserreserven auf. (Gerüchte besagen, auf der Hochstubai-Hütte gäbe es aktuell kein Wasser.)

 

An der Biwak Schachtel angekommen lernen wir noch einiges über Steinschlag, Schneefelder und Tritttechnik. Wir steigen weiter auf. So langsam macht sich der Luftdruck bemerkbar. Nicht nur an der dünnen Luft beim Einatmen, sondern auch der dicken Luft beim rektalen Ausatmen -„würzige Bergluft“ heiße das, wie uns Mario freudig erläutert-. Die Bergruhe wird nur gelegentlich durch diese Geräusche und das Lied „Baby Baby Balla Balla“ unterbrochen. Während viele von uns mit „Der Qual“ kämpfen, ist Mario hier ganz offensichtlich in seinem Element. So geht es, geführt von Sven, die Himmelsleiter hinauf. Am Ende des sechseinhalb-stündigen Aufstiegs steht plötzlich die Hütte direkt vor uns. Wir legen die Rucksäcke ab und der Großteil der Gruppe macht sich noch die letzten Meter auf zum Hohen Nebelkogel mit seinem tollen Ausblick auf das westliche Ötztal und die Wildspitze.

Die Ankunft auf der Hütte feiern wir mit kalten Getränken und viel käsiger Bergluft. Untergebracht sind wir heute im 10er und 4er Lager. Vor dem Abendessen erkunden wir noch die hochraffinierten Trenntoiletten und deren Belüftungskonzept.

Zum Abendessen gibt es Pilzrisotto mit oder ohne Hähnchengeschnetzeltem, da Tom, der Wirt, die vegetarische Vorbestellung vergessen hat. Langsam wird es frisch. Der ideale Zeitpunkt, um uns anzuschauen, wie man eine Nacht in den Bergen in einem Biwaksack überstehen kann. Mit viel Situationskomik und dummen Kommentaren probieren wir die 2er Biwaksäcke aus. Anschließend bewundern wir noch einen großartigen Sonnenuntergang.

Wieder drinnen am warmen Ofen erzählen unsere Führer von Svens Schneefeld-Unfall. Die Erläuterungen vom Nachmittag (zum Verhalten bei Abrutschen) bekommen so noch einen ganz ernsten und eindrücklichen Kontext. Am späteren Abend ziehen noch Wolken vor den schönen Sternenhimmel. Während das 10er Lager schnarchfrei bleibt, bilden Sven und Mario ein Duett.

 

Früh morgens, noch vor Sonnenaufgang, sind bereits Teile der Gruppe auf den Beinen. Die Wolken haben sich verzogen und die Gipfel um den unter uns liegenden Wütenkarferner zeichnen sich gegen den gold-gelben Himmel ab. Die Stille wird nur gebrochen durch das gelegentliche melodische Klirren des Gletschers.

Die morgendliche Reinigung muss mangels Wasser auf der Hütte ins Schneefeld verlegt werden. Pünktlich für das Frühstück wird die Gaststube geöffnet. Jeder erhält für den dreieinhalbstündigen Abstieg einen Liter Trinkwasser. Zum Abmarsch können wir noch einen Blick in den neuen Winterraum werfen.

Auf der ersten Etappe hinab zum Laubkarsee durchqueren wir noch ein kleines Schneefeld. Am See angekommen, können wir wieder ein Bad nehmen. Der weitere Abstieg ähnelt zunächst einer Verfolgungsjagd: Die Schafherde, die wir soeben am See kennen gelernt haben, läuft uns einige Zeit hochinteressiert hinterher. Ungefähr auf halbem Weg teilt sich die Gruppe noch einmal, genauso wie 2 Tage zuvor. Die Übereifrigen steigen nochmal knapp 500m auf zum 2900m hohen Söldenkogel. Die anderen machen sich direkt auf zu unserem heutigen Ziel: Anitas Kleblealm.

Nach der gesanglichen Begrüßung unserer Gastgeberin vor allen anwesenden Gästen, werden gleich die Zimmer bezogen, Buttermilch und Apfelstrudel bestellt und der Nachmittag in der Sonne genossen. Die vom Vortag fortgesetzte Versorgung einer Baustelle an der Hildesheimer Hütte per Hubschrauber ist nun auch aus nächster Nähe zu beobachten. Als die Gruppe wieder vollständig ist, machen wir uns auf, um einige Meter von der Hütte entfernt im Schatten einer Scheune das letzte aktive Kurselement zu behandeln: Behelfsmäßige Bergrettung. Neben den theoretischen Aspekten machen wir höchst amüsante praktische Übungen zu Transporttechniken für Verletzte. Als Opfer muss für jede Übung unser Federgewicht Luca herhalten. Wir improvisieren Tragen aus Stöcken und Biwaksäcken oder klemmen unseren Invaliden zwischen Rücken und Rucksack. Wir amüsieren uns köstlich. Abschließend werden wir noch von einer verschmusten Katze umtänzelt, die Mario auch gleich entführen möchte. Leider hat der Besitzer etwas dagegen (also nicht der von Mario sondern der der Katze).

Wir kommen zurück zur Kleblealm und staunen nicht schlecht ob Anitas Tagwerk: zum Abendessen gibt es Rippchen mit Ofenkartoffel (oder Knödel für die Vegetarier). Ein Gedicht! Anschließend folgt noch die Feedbackrunde, unterbrochen von einem jodelndem Weingutinhaber und Hobby-Philosophen aus dem Elsaß (Wir sind wohl alle auf sein Weingut eingeladen. Viel mehr seines beachtlich ausführlichen Monologs ist kaum verständlich). Der folgende Kaiserschmarrn kann als kulinarische Krönung dieser tollen Tour angesehen werden. Es folgt noch ein Spiel zu Wasserverbrauch und Beständigkeit von Müll im Hochgebirge. Auch nach dem Sonnenuntergang wollen einige noch partout nicht ins Bett und so bildet sich noch ein Weingelage mit humorvollen Gesprächen über chinesische Wasserratten, Wasserhähne und Hähnen in Gefriertruhen. Bevor auch die Letzten zu Bett gehen, genießen einige noch den Sternenhimmel. Wir sehen sogar einige Sternschnuppen vorbeiziehen und dürfen uns also etwas wünschen.

 

Scheinbar hat sich jemand ein gutes Frühstück gewünscht, denn Anita überrascht uns am nächsten Morgen mit Obstsalat und Ei. Torsten, Luca und Morgane verlassen uns bereits eine halbe Stunde früher, um noch einen Klettersteig am Lehner Wasserfall mitzunehmen. Der Rest der Gruppe macht sich dann um 9 Uhr unter der Führung von Simon (1) auf, zurück zum Parkplatz.